
Nach dem Tod ihres Mannes muss sich Jessalyn Ryan zurück ins Leben kämpfen. Als sie kurz vor dem Durchbruch als gefeierte Künstlerin steht, taucht nicht nur ihr tot geglaubter Mann auf, sondern auch die mexikanische Drogenmafia. Sie fliehen Hals über Kopf. Um den Verfolgern zu entkommen, setzt ihr Mann sie mit einem Koffer voller Geld in den Wäldern Oregons aus. Er flieht allein, wird jedoch in einen Unfall verwickelt, wobei die brennenden Autos den Wald in Flammen setzen. Jessalyn entrinnt dem Feuer und der Mafia, doch nicht ihrer Vergangenheit. Baxter Rockwood gehört zur Eliteeinheit der Feuerwehr. Er ist ein Smoke Jumper, der sein Leben riskiert, wenn ganze Landstriche niederbrennen und Menschen evakuiert werden müssen. Als er mit Löschflugzeug zu einem Einsatz gerufen wird, findet er eine wunderschöne Frau mit einem Geldkoffer und jede Menge Geheimnisse. Es dauert nicht lang und heiße Leidenschaft lässt sein Herz verglühen.
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Moni Kaspers
Moni Kaspers schreibt Romane, die ans Herz gehen und zum Nachdenken anregen. Durch ihre Gabe, plastisch zu beschreiben, fühlt sich der Leser mittendrin. Ihre großartigen Bewertungen und zwei Bestseller auf Amazon unterstreichen ihren Erfolg. Sie lebt zurückgezogen mit ihrem Mann, vier Katzen und zwei Hunden im schönen Rheinberg am Niederrhein. In der Weite der Natur und der Ruhe findet sie die Inspiration zu ihren Romanen. Autorenseite
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... oder sofort „hineinschnuppern“
Was für ein gelungener Abend. Jess ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen, zog die hohen Schuhe aus und massierte ihre schmerzenden Zehen. Nie hätte sie gedacht, dass ihre Werke solch einen Anklang finden würden. Ein glückliches Gefühl durchströmte sie und Jessy konnte nicht verhindern, dass sich ihr Mund ständig zu einem glücklichen Lächeln verzog. Seit Stevens tragischem Tod hatte sie um ihre Existenz kämpfen müssen, doch mit dem heutigen Abend war das offensichtlich vorbei. Sie war glücklich. Ja, nach langer Zeit verspürte sie endlich wieder so etwas wie Glück. Sie hatte einen grandiosen Auftrag mit einem Museumsleiter abschließen können und sollte in den nächsten Wochen zu ihm ins Büro kommen, um Verträge zu unterschreiben. Dann war da noch dieser Mexikaner, der gleich mehrere kleine Skulpturen gekauft hatte. Sogar die Presse hatte sich eingefunden, und wenn sie es tatsächlich in das noble Art Magazine schaffte, war das wie ein Ritterschlag und sie würde noch bekannter. Jess ging unter die Dusche und streifte ihre Wohlfühlsachen über. Jogginghose und XXL-T-Shirt standen im krassen Gegensatz zu ihrem frisch erworbenen, sündhaft teuren Designerkostüm und waren auch viel bequemer, machten sich aber leider bei offiziellen Anlässen nicht so gut. Sie würde es ausprobieren, wenn sie reich und berühmt war, kicherte sie in sich hinein, dann würde man der schrulligen Künstlerin die Kleiderwahl sicher verzeihen. Wenn man Geld hatte, war einfach alles möglich. Ein Glas Wein zur Feier des Tages, danach würde sie sehr gut schlafen. Sie war in solch einer glücklichen Stimmung, dass sie für einen Moment darüber nachdachte, Franks Einladung zum Abendessen anzunehmen. Es wäre das erste Mal, dass sie sich auf eine Verabredung einließ. Schon seit geraumer Zeit machte er ihr schöne Augen und seine steten Annäherungsversuche ließen sie nicht kalt. Außerdem musste sie ihm dankbar sein, denn die Kontakte zum Museumsleiter hatte er geknüpft. Frank sah zudem blendend aus. Braun gebrannt, blondes, dichtes Haar, seine Statur groß und athletisch. Heute Abend hatte er in seinem Anzug umwerfend sexy ausgesehen. Er war nicht unvermögend, hatte hervorragende Kontakte und war einer der wenigen Männer, die weder verheiratet noch homosexuell waren. Eine Seltenheit im Künstlergewerbe. Doch würde das ausreichen? Keine Schmetterlinge, kein Prickeln, das über die Haut rieselte, wenn er ihr in die Augen sah? Vielleicht war sie schon zu alt für Schmetterlinge, vielleicht erlebte man das nur in jungen Jahren. Bei der ersten großen Liebe. Dieses alles durcheinanderwirbelnde Gefühl, das einen stürmisch auf Wolke sieben katapultierte, hatte sie auch bei Steven nie gehabt. Dennoch, sie hatte ihn geliebt. Jess konnte nicht sagen, ob sie Steven noch immer liebte, nein, vermutlich war das vorbei. Es gab ein Gefühl nach der Liebe. Ein ebenso tiefes, verbundenes Gefühl, nachdem man einen Menschen verloren hatte, doch das hatte nichts mehr mit der Liebe gemeinsam, die man empfand, wenn man zusammen die Zukunft plante. Nach der Zeit der Trauer begann man, mit dem Herzen zu denken, aber nicht mehr zu fühlen. Jess nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas und betrachtete beim Absetzen nachdenklich die blutrote Flüssigkeit, als läge dort die Antwort auf alle Fragen. Steven hatte Wein leider nie gemocht. Sie stellte das Getränk beiseite und nahm ihr Telefon in die Hand. Eine Weile starrte sie auf die Texteingabe, dann ließ sie es tatenlos sinken. Kein Abendessen mit Frank. Es war besser so. Davon abgesehen gab es kein Restaurant, in dem sie nicht bereits mit Steven gewesen war. Es gab auch keinen Ort, an dem sie nicht mit ihm gewesen war. Keine Erinnerung an Vergangenes, ohne sein Gesicht. Mit Verwunderung stellte sie jedoch immer öfter fest, dass sie begann, sich nach jemandem zu sehnen. Jess lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wunderbare Bilder spielten sich dahinter ab wie in einem romantischen Liebesfilm. Ein Mann, der sie aus den Angeln hob, der ihren Atem stocken ließ, der sie zum Lachen brachte. O ja, der Nächste musste sie zum Lachen bringen, unbedingt. Steven war stets so ernst gewesen, in dem Jahr vor seinem Tod sogar oft fahrig, nervös und manchmal nahezu aggressiv. Der nächste Mann in ihrem Leben musste zwar kein Komiker sein, aber er sollte Humor besitzen. Ein genaues Bild hatte sie nicht, doch darauf kam es auch nicht an. Er musste nicht äußerlich zu ihr passen, sondern innerlich. Jess erhob sich müde, schaltete das Licht aus und wandte sich gerade der Treppe zu, als sie ein Geräusch vor der Haustür vernahm, das sie aufhorchen ließ. Ihr Kopf wirbelte herum und ihr Herz klopfte vor Schreck. Das war kein Tier, das an der Tür kratzte, da war etwas anderes. Sie hielt den Atem an, kniff die Augen zu Sehschlitzen zusammen, in der Hoffnung, besser durch die Dunkelheit zu dringen. Vorsichtig und bemüht leise schlich sie zur Haustür. Ein Zettel lag auf dem Boden. Jemand hatte um diese Uhrzeit etwas durch den Türschlitz geworfen. Ihr Blick wanderte von dem Zettel aus den Boden entlang, die Tür hinauf, bis zum Drehknopf. Bewegte der sich etwa? Nein. Sicher nur eine optische Täuschung in der Dunkelheit. Jessy hockte sich und griff mit zitternden Fingern nach dem Fetzen Papier. Eine eilig herausgerissene Seite aus einem Notizblock. Der Stift hatte wohl versagt, denn manche Buchstaben waren kaum zu entziffern. Sie würde das Licht einschalten müssen. Warum sie solche Angst hatte, vermochte sie nicht zu sagen, aber das alles beunruhigte sie in höchstem Maße. Jess entfernte sich, indem sie rückwärtsging und die Tür gebannt im Auge behielt. Sie erreichte die Gästetoilette, schloss sich darin ein und knipste aufgeregt das Licht an. Als ihre Augen die Schrift wahrnahmen, zitterte sie plötzlich so sehr, dass sie den Zettel ablegen musste, um das Geschriebene lesen zu können. Jess, du bist in großer Gefahr. Ich kann alles erklären. Ich stehe vor der Tür, bitte lass mich rein. Es geht um dein Leben. Steven. Steven … Steven? Jess wurde es plötzlich so schlecht, dass sie fürchtete, sich übergeben zu müssen. Ein Ring aus Feuer legte sich um ihren Hals und ließ sie nach Luft schnappen. War das ein Scherz? Steven? Aber, das war doch nicht möglich. Sie war kaum in der Lage, zu begreifen. Innerlich aufgewühlt und doch wie gelähmt. Das war ein Scherz, oder? Die Schrift. Sie kannte seine Schrift. Erinnerungen an kleine, liebevolle Notizen auf dem Küchentisch, Merkblättchen an den Spiegel geheftet: ‚Denk daran, dass …‘ oder ‚Vergiss bitte nicht …‘ und oft genug: ‚Ich liebe dich …‘. Jess setzte sich auf den Toilettendeckel, hielt den Zettel in beiden Händen und las, was sie nicht verstehen konnte. War er tatsächlich dort draußen? Wenn ihr Leben in Gefahr war, war es dann klug, die Tür zu öffnen? Sollte sie nicht besser die Polizei rufen? Als ihre Beine wieder gehorchten, erhob sie sich, schaltete das Licht aus, entriegelte die Tür und starrte den Flur hinab. Steven …, das konnte nur ein Scherz sein. Ein verdammt schlechter dazu. Sie horchte in die Dunkelheit. Nichts regte sich. Mit hämmerndem Herzen und wackligen Knien wagte sie sich zum Fenster neben der Tür, schob mit dem Zeigefinger die Gardine einen Zentimeter zur Seite und spähte hinaus. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, sie spürte Schweißperlen auf der Stirn und wischte sie mit dem Handrücken beiseite. Der Hauch ihres Atems vernebelte die Scheibe und nahm ihr die Sicht. Jess rückte ein Stück weiter und starrte nach draußen. Die Nachbarhäuser lagen in tiefem Dunkel, die Straßenlaternen taten ihren Dienst, doch sie konnte nichts Ungewöhnliches in ihrem bläulich kalten Lichtkegel erkennen. Jess zuckte zurück. Und wenn Steven, oder wer auch immer, direkt vor ihrer Tür stand? Dann war sie nur durch ein paar Zentimeter Holz von einem Geist oder womöglich von einem Mörder oder Entführer entfernt. Hätte der Abend nicht einfach so enden können, wie er begonnen hatte? Ihr Sarkasmus funktionierte offensichtlich noch. Was tun? Die Tür öffnen? Sie würde doch im Leben nicht diese Tür öffnen. Ihr Telefon klingelte urplötzlich. Jessy erschrak zu Tode. Verdammt! Das Handy lag auf dem Tisch neben der Couch. Den ganzen Tag schleppte man das Ding mit sich herum, in solchen Situationen natürlich nicht. Es klingelte nachhaltig. Jess rannte zurück ins Wohnzimmer. Die Nummer war ihr fremd. »Hallo?« »Jess.« Sie hörte ihren eigenen Atem stoßweise im Telefon. Das konnte alles nicht wahr sein. Ein Albtraum. Ein grausamer Albtraum. »Du kannst es nicht sein.« »Doch, Jess. Wir haben nicht viel Zeit, bitte leg nicht auf.« »Du bist tot.« »Ein Zeugenschutzprogramm. Jess, du bist in großer Gefahr. Bitte glaube mir.« »Du bist tot.« Ihr Verstand setzte aus. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Irgendwie musste sie versuchen, sich zu beruhigen. »Jessy, hör bitte zu. Der kleine Mexikaner, der heute in deiner Galerie war, er ist der Grund, warum ich sterben musste.« »Also bist du doch tot.« »Ich werde jetzt die Tür aufschließen, hörst du? Beruhige dich. Ich weiß, es ist übermenschlich viel verlangt, aber bitte beruhige dich. Ich bin hier, um dich zu retten.« »Du hast keinen Schlüssel. Deine Habseligkeiten hat man mir übergeben.« »Du hast den Ersatzschlüssel noch immer an unserem heimlichen Platz deponiert.« Er lebte! Steven lebte! »Ich komme rein, Jess, in Ordnung?« »Einen Moment …, bitte, gib mir … einen Moment.« »Sicher.« Jessy atmete tief durch und legte auf. Wenige Augenblicke später hörte sie den Schlüssel im Schloss und Schritte im Flur. Sie war nicht fähig, sich zu bewegen, war vor Angst wie erstarrt. Warum nur hatte sie keine Waffe? Warum nur hatte sie Waffenbesitz immer kritisiert? Sie hätte jetzt verdammt gern einen geladenen Colt in den Händen. Jemand langte trotz Dunkelheit zielsicher an den Lichtschalter und Jess war nicht mehr Herr über ihre Beine. Sie sackte zusammen und sank auf das Sofa hinter sich. Steven stürzte auf sie zu, doch Jess sprang sofort wieder auf. »Bleib, wo du bist!« Sie streckte abwehrend die Hände vor sich. »Jess …« »Nein! Fass mich bloß nicht an.« Fassungslos starrte sie in sein Gesicht. Er war schmaler geworden, doch ansonsten war er ohne Zweifel der Mann, dessen Ring sie noch immer an ihrem Finger trug. »Ich kann dir alles erklären, aber wir müssen hier weg.« »Ich gehe nirgendwo hin.« »Hör zu, ich habe damals großen Mist gebaut, und um dich zu schützen, musste ich offiziell sterben. Doch El Enano hat dich gefunden und er wird sein Geld wiederhaben wollen.« »El wer?« »Der Mann, dem ich viel Geld schulde.« »Dann gib ihm sein Geld.« »Was glaubst du denn? Ich gebe es ihm, er bedankt sich höflich und wünscht uns einen schönen Tag? Wir würden trotzdem sterben. Bitte, Jess, nimm deine Sachen und lass uns verschwinden.« »Ich höre immer Uns. Was zum Teufel habe ich damit zu tun?« »Ich erkläre es dir später, keine Zeit jetzt. Komm. Bitte!« Er streckte ihr die Hand entgegen und Jess starrte auf sie hinab. Ein Sturm tobte in ihr, ihm die Hand zu reichen. Das war falsch, das konnte nicht sein. Wie in Trance streckte sie ihre Finger aus und es durchzuckte sie, als sie sich berührten. Seine Hand war warm und fest, kein Geist also, kein Geist. »Wo willst du hin, Ste… Steven?« Es fiel ihr schwer, seinen Namen auszusprechen, noch schwerer fiel es ihrem Verstand, eine Antwort von einer Leiche zu erwarten. »Weit weg, Jessy, so verdammt weit weg wie nur möglich.« »Was hast du nur getan?« »Ich erzähle dir alles im Auto, bitte komm.« Tatsächlich setzte sie sich in Bewegung und folgte ihm. Mit klarem Verstand hätte sie bestimmt anders reagiert, doch die Situation war so bizarr, dass Jessy nur funktionierte und keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie bestieg sein Auto, legte schlafwandlerisch den Sicherheitsgurt an und starrte abwechselnd auf Steven oder die Straße. Er war nervös, kaute am Fingernagel seines Zeigefingers. Eine Geste, die ihm so eigen gewesen war, die sie so gut kannte, und erst jetzt, wo er leibhaftig neben ihr saß, erst jetzt bemerkte sie, wie sehr sie seine kleinen Gesten vermisst hatte. Bis sich der Nebel in ihrem Kopf und die Watte in ihren Adern verflüchtigten, hatten sie die Stadt längst hinter sich gelassen und befanden sich auf dem Highway Nummer eins. »Ich weiß, was ich dir angetan habe, ist unverz…«, begann er, als ahnte er ihre Gedanken. »Du hast keine blasse Ahnung davon, was du mir angetan hast!« Sie wandte ruckartig den Kopf und spürte, wie Trauer und Verzweiflung des letzten Jahres schlagartig in Empörung und Zorn umschlugen. Sie musste wirklich an sich halten, damit sie noch eine Erklärung bekam, bevor sie ihn tatsächlich umbrachte. »Steven, du hast keine Ahnung. Als die Cops an meiner Tür klingelten und der Referend mir schonend klarmachte, dass du einen Autounfall hattest, war ich in den ersten Wochen nicht mal fähig, zu atmen, wirklich, ich konnte kaum atmen, nicht essen, nicht trinken. Jede Bewegung hat mir körperlichen Schmerz verursacht. Die Trauer um dich hat mich beinah aufgefressen, wir hatten so viele Pläne, hatten noch so viel vor. Doch einfach im Bett liegen bleiben und versuchen zu sterben, um dir nah zu sein, nein, das ging natürlich nicht. Unerledigte Rechnungen, eine Beerdigung ohne Leiche, damit deine Eltern und Freunde Abschied nehmen konnten, nicht zahlen wollende Versicherungen, weil deine sterblichen Überreste nicht gefunden wurden …« Jessy entfuhr ein bitteres Lachen. »Bis endlich die Behörde die Gewissheit herausbrachte, dich in einem ausgetrockneten Flussbett gefunden zu haben, in dem du schon so lange gelegen hast, dass eine Identifizierung nur schwer möglich war. Jetzt verstehe ich erst, warum! Deine untröstlichen Eltern, die …, o mein Gott, was ist mit deinen Eltern? Wissen sie, dass du lebst?« Er schüttelte mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf. »Verdammt, Steven, was hast du nur getan?« Stockend begann er zu erzählen, und Jess bemühte sich, ihm zuzuhören, klar, sachlich und nüchtern, doch mit jedem weiteren Wort von Geld, Reichtum und leichtem Leben ging ihre Beherrschung bis an ihre Grenzen. »Hör auf!«, stoppte sie ihn, als er zum wiederholten Mal sagte, dass er es nur für sie getan hätte. »Das bedeutet also, wenn dieser El Dingens mich oder dich in die Finger bekommt …« »… dann war’s das«, schloss er, schnalzte dabei mit der Zunge und passierte zeitgleich die Staatsgrenze von Kalifornien nach Oregon. »Ich bin noch nie in Hausschuhen über die Grenze gefahren«, fiel Jessy auf, und ob sie wollte oder nicht, sie lächelte Steven an und er lächelte zaghaft zurück. »War diese Hast wirklich nötig? Wie lange werde ich weg sein? Ich hätte gern etwas eingepackt. Na ja, für ein paar Tage müsste es gehen …« Der Blick in sein Gesicht beantwortete ihr nicht nur ihre Fragen, er ließ sie auch langsam das ganze Ausmaß begreifen. »Steven?« »Jessy, es tut mir leid, du kannst nicht zurück. Zumindest nicht sofort. Aber ich habe Geld, viel Geld. Damit können wir woanders neu anfangen.« »Ich will nicht woanders neu anfangen! Verdammt! Ich habe neu angefangen, als du gestorben bist und jetzt läuft es gerade gut für mich. Ich will …« »… leben, oder?« »Lass uns zur Polizei fahren. Sie können uns sicher helfen.« »Ja, natürlich«, spottete er, »und weil die Polizei so clever ist und solch eine Macht besitzt, passieren auch keine Morde. Sie sollten dich beschützen, doch tatsächlich bin ich es, der dich beschützt. Keine verdammten Cops waren zu sehen, als der Zwerg in deinen Laden ging. Kein einziger, verdammter Cop. Nur ich! Vergiss es, Jessy. Noch bevor sie das Blaulicht eingeschaltet haben, pumpt man uns voll Blei.« »O mein Gott! Dieser Mann, der meine Skulpturen kaufen wollte, ist ein Drogenboss?« »Nicht nur das. Er ist ein Mörder, Jessy, ein eiskalter Mörder.« Die Gefühle, die in ihr tobten, konnte sie kaum noch bewältigen. »Warum ich? Warum sollte er mich ermorden wollen?« »Vielleicht würde er dich nicht sofort umbringen, aber sie benutzen Frauen als eine Art Wiedergutmachung. Du müsstest für ihn anschaffen, Jess, er würde dich in eines seiner Bordelle stecken. So sieht es aus.« »Wie bitte?« Eine weitere Antwort blieb er ihr schuldig und sie verfielen eine lange Zeit in tiefes Schweigen. Wie sollte sie das alles auch auf die Schnelle verarbeiten? Sie hatte das Gefühl, sie saß in einem führerlosen Zug und niemand war in der Lage, dieses rasende Ding zu stoppen. Urplötzlich riss Steven das Steuer herum und bog nach rechts auf einen Abzweig in die Berge. Jess konnte sich gerade noch festhalten, sonst wäre sie zu ihm hinübergekippt. »Steven, was …?« Er starrte in den Rückspiegel und kaute auf seinem Fingernagel. Dann nahm er Tempo auf. Jessy bekam es mit der Angst zu tun. Sie spürte ein kaltes Kribbeln in ihrem Nacken, warf einen schnellen Blick in den Außenspiegel und sah die Lichter eines folgenden Wagens. »Er verfolgt uns schon eine ganze Weile und er macht sich nicht mal mehr die Mühe, dabei unbemerkt zu bleiben. Sicher wartet er nur auf die Gelegenheit. Wie eine Spinne im Netz, wohl wissend, dass ihr Opfer nicht entkommen kann.« »O Gott, ich habe Angst, Steven, tu doch etwas. Ich rufe die Polizei.« Sie fummelte mit zitternden Händen ihr Telefon aus der Trainingshose, musste aber feststellen, dass sie in den Bergen keinen Empfang hatte. Jessy spähte über die Kopfstütze nach hinten, doch der Wagen blieb in gleichmäßigem Abstand hinter ihnen. »Vielleicht täuschst du dich?« »Dachte ich zuerst auch, wir sind ja nicht die Einzigen auf dem Highway, aber als ich es wissen wollte und abbog, folgte er uns. Zufall? Ich glaube nicht. Nicht hier in der Einöde.« »Und nun? Herrgott, sag, was wir tun sollen. Können wir ihn abhängen? Denkst du, er kann uns überholen?« »Wozu auf den kurvenreichen Bergstraßen auf waghalsige Manöver bestehen? Irgendwann, so denkt der bestimmt, werden wir anhalten, doch den Gefallen tun wir ihm nicht.« Jess zog die Unterlippe zwischen die Zähne und biss vor Angst so fest darauf, dass es schmerzte. Immer höher schraubte sich die Passstraße, immer schneller nahm Steven die engen Kurven. Sie wagte kaum, zu atmen, ihr Herz hämmerte und konnte sich nicht entscheiden, ob es wegen des Wagens hinter ihr, der drohenden Schlucht neben ihr oder den Rücklichtern eines Lkws vor ihr war. »O Gott, wir sterben jetzt. Warum konnte ich nicht einfach zu Hause bleiben?«, jammerte sie und in Anbetracht der Situation fand sie, stand ihr das auch zu, feige zu sein. Damit es noch schlimmer kam, setzte der riesige, lange Truck einer Baumholzfirma den Blinker. Steven würde halten müssen, ausweichen war nicht möglich, doch plötzlich drückte er das Gaspedal durch. Der Wagen verschluckte sich kurz, dann griff der Turbo und Jessy wurde in den Sitz gedrückt. Sie hörte ihren Schrei, kurz bevor Steven an der gewaltigen Ramme des Trucks vorbeiflog. Jessys Fenster zerbarst, der Außenspiegel flog davon, Blech kreischte von vorn bis hinten, als Steven den Wagen durch das Nadelöhr jagte. Reflexartig hatte sie die Arme vor das Gesicht gerissen, und während sie vor lauter Panik nach Luft schnappte, packte Steven das durchdrehende Lenkrad und bekam den schleudernden Wagen wieder in seine Gewalt. Jessys Blick flog nach hinten. Der vollgeladene Truck war noch einen Meter vorgeruckt, bevor die Bremsen packten und er die Straße versperrte. Die Verfolger waren für den Moment abgeschüttelt, doch sie würden nicht lange brauchen. Zu verräterisch waren die Scheinwerfer in der Einsamkeit, zu gut die Übersicht in der zunehmend kargeren Berglandschaft. Jessy starrte Steven an und ihre Atmung ging so ruckartig, dass sie Seitenstechen bekam. »O mein Gott«, konnte sie nur flüstern. Seine Stirnadern pulsierten, Schweißperlen glitten über seine Schläfe. Fahrig wischte er sie beiseite und stoppte urplötzlich am Straßenrand. »Steig aus!« »Wa…« »Steig aus«, schrie er sie an. Jess versuchte mit zitternden Händen, die eingebeulte Tür zu öffnen, schaffte es mit ohrenbetäubendem Knarren und stieg so schnell aus, wie es ihre gefühllosen Beine zuließen. Steven drehte sich zur Rückbank, griff etwas, schleuderte es vor ihre Füße und traf empfindlich heftig ihr Schienbein. »Der Zahlencode ist sieben, sieben, drei, eins. Es sind achthunderttausend Dollar. Dein Schmerzensgeld für meine Fehler. Verschwinde, Jessy, und halte dich die ersten Monate bedeckt. Vielleicht erwischt man das Schwein bald, dann kannst du sorgenfrei leben.« »Steven!« »Trau niemandem, versteck dich und pass auf dich auf.« Mit quietschenden Reifen raste er los, als sie auch schon den heranjagenden Wagen ihrer Verfolger hörte. Mehr instinktiv warf sie sich in das nächste Gebüsch, Sekunden später flogen die Verbrecher an ihr vorbei. Jessys Arme suchten im Dornengebüsch Halt, doch sie rutschte den steilen Abhang hinab, überschlug sich, stieß sich an einem Baumstumpf den Kopf, bis ihr Fuß an einer Wurzel hängen blieb und verdächtig knackte. Ihr kurzer Schmerzenslaut wurde von den beiden Wagen übertönt, die sich eine Jagd den Berg hinauf lieferten. Sie näherten sich einer Steilkurve, bremsten hart, die Motoren wurden leiser, dann wurde die Drehzahl erneut nach oben gejagt. So ging es immer weiter. Bis zu dem Moment, an dem Bremsen quietschten, ein ohrenbetäubender Knall die Nacht zerriss und Jessy aufschreien ließ. O Gott, Steven. Als der Schock langsam dem Verstand wich, griff sie in die Jackentasche, fand ihr Handy, doch es war sichtlich kaputt. Sie konnte es nicht mehr einschalten und die Scheibe war zerbrochen. Jessy sah hoch zur Unfallstelle, als es plötzlich eine Explosion gab, ein Feuerball in den Himmel stieg und kurz die Dunkelheit um sie herum erleuchtete. Sie legte die Hand vor den Mund und hielt ihren geschockten Schrei fest. Sofort fing das ausgetrocknete Buschwerk Feuer und der Wald stand in Flammen. Im Dreck kniend, fassungslos und völlig schockiert betrachtete sie beinah eine Ewigkeit das orangefarbene lodernde, schnell um sich fressende Feuer. Dort oben konnte sie niemandem mehr helfen, sie musste zusehen, dass sie schleunigst hier verschwand, bevor die Flammen in ihre Richtung drehten oder der Wind es schlecht mit ihr meinte und glühende Funken über sie herabregnen ließ. In diesen unvorstellbar riesigen Waldgebieten kämpfte man im Sommer ständig mit allem vernichtenden Waldbränden. Erst jetzt, als sie sich aufrichten wollte, nahm sie den stechenden Schmerz in ihrem Fußgelenk erneut wahr. »Verdammte Scheiße«, fluchte sie und ihre Hand umschloss ihre Fessel. Es half nichts, sie musste sich zusammenreißen. Jessy richtete sich auf, wobei sie leicht stöhnte, dann krabbelte sie den Abhang hinauf, sammelte ihren Hausschuh ein und wollte sich gerade an den weiteren Aufstieg machen, als ihr der Koffer einfiel. Tatsächlich hätte sie ihn am liebsten dort liegen lassen. Das Geschwür allen Übels. Aber sollte dieser Mexikaner sie finden, hätte sie zumindest die Möglichkeit, ihm sein Geld zu überreichen. Das Feuer oben am Berghang hatte sich in Sekunden weiter ausgebreitet, sie konnte es bereits riechen. Bei all dem, was in den letzten Stunden geschehen war, hoffte sie, dass es nicht Steven war, der da oben womöglich verletzt im Auto saß und jämmerlich verbrannte. Bevor ihre Fantasie weiter mit ihr durchging, beschloss sie, daran zu glauben, dass er nicht tot war. Dass er es geschafft hatte. Er hatte es schon einmal geschafft, warum nicht wieder? Vielleicht gäbe dieser mexikanische Drogenfürst Ruhe, wenn er glaubte, dass Steven tatsächlich tot war. Unglaublich, dass er sympathisch und herzlich lächelnd in ihrer Galerie gestanden hatte. Jessy mühte sich, den Koffer aus dem Dornengebüsch zu ziehen, zog sich weitere Schrammen zu und fluchte wie schon lange nicht mehr. Als sie endlich die Straße erreicht hatte, warf sie noch einmal einen Blick zur Unfallstelle. Steven. Er hat es sicher geschafft, versuchte sie sich einzureden. Mit dem silbernen Koffer in der Hand machte sich Jess humpelnd davon. Unterdessen kreisten ihre Gedanken, ob der Weg die Straße hinunter eine gute Wahl war. Was, wenn noch mehr Verfolger unterwegs waren? »Verdammt, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll«, murmelte sie vor sich hin. ‚Trau niemandem, versteck dich‘, zuckten seine letzten Worte durch ihre Gedanken. Ihr Leben war innerhalb weniger Stunden zu einem Albtraum geworden und so wirklich konnte sie das alles noch nicht fassen, doch der brennende Wald hinter ihr, der Koffer in ihrer Hand und die blutenden Kratzer an ihren Armen sagten etwas anderes. Sie sah Scheinwerfer mehrerer Fahrzeuge, die aus dem Tal schnell in ihre Richtung fuhren. Jess musste schleunigst die Straße verlassen und, was noch wichtiger war, dem Feuer entkommen. Das Knistern und Fauchen wurde lauter, der Geruch nach verbranntem Holz und glühender Erde intensiver. Jessy entschied sich, trotz Hausschlappen die Straße zu verlassen und einen schmalen Weg zu nehmen, der in den Wald hineinführte. Sie meinte sich zu erinnern, einige Meilen zuvor einen See gesehen zu haben, dort wäre sie vor dem Feuer halbwegs sicher. Leider endete der vielversprechende Weg schon bald in beinah undurchdringlichem Dickicht, doch sie musste sich durchkämpfen. Das Feuer und die Angst ließen ihr keine andere Wahl. Sie brauchte beinah eine Stunde, dann erreichte sie völlig erschöpft und mit weiteren Schrammen den See und fand dort eine verlassene Fischerhütte vor. Was für ein Glück. Genau das Richtige, um sich auszuruhen, ihren Knöchel zu kühlen und ihre Wunden zu waschen. Nötigenfalls auch vor dem Feuer ins Wasser zu entfliehen. In den Bergen waren solche Hütten meist nicht verschlossen, falls jemand Schutz vor Bären oder anderen Wildtieren suchte. Sie behielt recht, die Tür ließ sich öffnen. Ein Flugzeug näherte sich dem See und Jess sah zu, dass sie unbemerkt im Inneren des Blockhauses verschwand. Die Nacht hauchte ihren letzten Atem aus und fern am Horizont brach sich das erste Licht des Tages.
Sein Telefon vibrierte irgendwo in diesem Zimmer. Baxter war von dem Brummen aufgeweckt worden, fand sich aber in dem fremden Raum nicht sofort zurecht. Sein amouröses Abenteuer von letzter Nacht lag neben ihm und schlief. Sie schien das Geräusch nicht zu stören. Er tastete sich vorwärts, dann endlich fand er es. »Baxter Rockwood.« »Mensch, Bax, wo bist du?« »Rod, ich, … ähm.« Baxters Blick glitt über die Frau im Bett, die sich nun leicht seufzend rekelte, wobei die Decke verrutschte. Bax zog sie wieder hoch und bedeckte ihren Körper. Rod war sein bester Freund, doch er hatte kein Verständnis für wechselnde Liebschaften, darum verschwieg er ihm lieber, wo er sich gerade befand. »Ich versuche die ganze Zeit, dich zu Hause zu erreichen. Es brennt oben am Cabbert Pass. Wir rücken aus, der Captain hat angeordnet, dass du fliegen sollst und sicherheitshalber eine Ladung ablässt. Das Feuer ist gefräßig und verbreitet sich schnell.« »Ich bin sofort da.« Jetzt war er hellwach. Er legte auf, störte sich nicht an ihrem verschlafenen Grummeln, sprang in seine Hose, seine Stiefel und rannte, seine restlichen Sachen überstreifend, zu seinem Pick-up.
Zwanzig eilige Minuten später erreichte er das Löschflugzeug, das im See dümpelte und zusammen mit seinen Kollegen auf den Einsatz wartete. Baxter konnte das Feuer bereits vom Anlieger aus sehen. Nach den notwendigen Sicherheitschecks startete er die Propeller, wendete das Flugzeug auf den offenen See und nahm Tempo auf. Die beiden Rotoren machten einen Höllenlärm, doch Bax liebte dieses Geräusch. »Weiß jemand, wodurch das Feuer ausbrach?«, erkundigte er sich über das Mikro. »Ja, es war ein Unfall. Ein Auto ist vor dem Tunnel explodiert, genaueres weiß ich nicht, aber die Kollegen sind vor Ort«, gab Rodney zurück. »Rockwood«, meldete sich der Captain über Funk, »die Flammen fressen sich oberhalb des Tunnels in Richtung Tal. Die Jungs konnten einen Teil davon eindämmen, aber du musst dort löschen, wo sie das Feuer nicht mehr erreichen. Das Gelände ist unwegsam und das Gebiet knochentrocken. Der Wind frischt auf, wir müssen uns also beeilen, bevor wir es nicht mehr unter Kontrolle bekommen.« »Geht in Ordnung, Captain.« Er zog eine Schleife, näherte sich dem Brandherd und Rodney öffnete auf Kommando die Klappen der Tanks. Er musste höllisch aufpassen, der dichte Rauch veränderte die Thermik, doch sie hatten einen satten Treffer gelandet. Weiße dicke Qualmwolken stiegen auf. »Bax, du bist der beste Flieger«, klopfte Rod ihm auf die Schulter. »Rockwood«, meldete sich Captain Beason, »flieg rüber zum Too much Bear Lake, er ist näher als unser See und hol noch ein oder zwei Ladungen, aber sei vorsichtig.« »Roger«, gab Baxter zurück und zog eine Schleife zum nahe gelegenen See. Der Too much Bear Lake war nicht groß, darum musste er die Nase des Flugzeugs gleich hinter den Baumwipfeln runterdrücken, dennoch sanft aufsetzen, die Tanks füllen und die Maschine so schnell wie möglich mit ihrem vollen Gewicht hochziehen, sonst würden sie eine feine Schneise durch den Wald schlagen und daran hatte er nun wirklich kein Interesse. Bax konzentrierte sich, senkte die Maschine und setzte auf der spiegelglatten Oberfläche auf. Er brauchte nur zwölf Sekunden, dann waren die Tanks voll. Mit ein wenig Anstrengung zog er die Nase kurz vorm Ufer wieder hoch und überflog dabei die Fischerhütte. Da war doch was! »Rod, hast du das gesehen?« »Ja, ich glaube, da ist wer in der Hütte.« »Ob jemand vor dem Feuer Schutz sucht? Eine ziemlich schlechte Idee.« »Lass es uns erst mal löschen. Kümmern wir uns später um den Eindringling.« Bax überflog zum zweiten Mal den Brandherd, öffnete die Tanks und wieder trafen sie ins Schwarze. Rod jubelte, als hätte er beim Rodeo gewonnen und Baxter musste lachen. »Gut gemacht, Rockwood, erstklassige Zielführung. Feuer aus«, vernahm er ein klein wenig stolz über seine Kopfhörer. »Danke, Captain.« Feuer aus. Diese beiden Worte bedeuteten so viel und ließen jeden noch so harten Firefighter in Jubel ausbrechen. Feuer aus! Menschen und Tiere in Sicherheit. Das war das Wichtigste für ihn. Das war sein Leben. »Ihr könnt zurückfliegen, den Rest erledigen wir vor Ort.« »Roger!« Rodney klopfte ihm wieder auf die Schulter. »Ich glaube, es gibt keinen Zweiten, der dieses Baby so gut beherrscht, Bax. Was ist mit dem Besucher in der Hütte? Denkst du, es könnte ein Wanderer sein?« »Anders könnte man sie nicht erreichen. Nur mit dem Boot oder zu Fuß. Aber einen Wanderweg gibt es dort nicht und ein Boot habe ich nicht gesehen. Selbst zu Pferd ist es dort viel zu undurchdringlich und verwachsen. Denkst du, es könnte jemand sein, der mit dem Unfall zu tun hatte?« »Vielleicht ist er verletzt?« Bax zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute leicht darauf herum. »Vielleicht sollte ich nachsehen.« »Nicht mit diesem Flieger. Der Chief reißt dir den Kopf ab. Er ist so stolz auf dieses brandneue Baby. Nimm deine eigene Maschine.« Bax nickte und bereits eine halbe Stunde später saß er in seinem Wasserflugzeug, das er unter anderem als Taxi jeder Art benutzte. Der Job beim Forest Service war nur einer von vielen. Jeder, der in der Kleinstadt Ronville lebte, hatte zwei oder drei Jobs oder ehrenamtliche Aufgaben. Rodney, zum Beispiel, führte mit seinem Bruder Gary eine Autowerkstatt. Captain Beason war nicht nur Leiter der Waldbehörde und der Feuerwehr, sondern auch Direktor der Primary School. Jeder kannte jeden, denn jeder war für jeden äußerst wichtig. Manchmal war das erdrückend, doch Baxter hätte es nie anders gewollt. Ein namenloses Leben in einer seelenlosen Großstadt würde ihn sicherlich umbringen. Noch während er in seine Gedanken vertieft war, tauchte der Too much Bear Lake in seinem Sichtfeld auf und er trug seinen Namen nicht ohne Grund. Es hatte bereits Sommer gegeben, an denen es ratsam war, einen Riesenbogen um das Gewässer und seine große Anzahl an Schwarzbär-Familien zu machen. Bax senkte die Maschine, gab ihr Schub, setzte sie auf die Oberfläche des Sees und ließ sie zum Bootsanlieger gleiten. Bevor er ausstieg, griff er zu seinem Colt und klemmte ihn am Rücken in den Gürtel. Er war gern hilfsbereit, aber er war auch kein Idiot. Schnell sprang er aus der Einstiegsluke, griff nach dem Tau und befestigte die Maschine. Er sah dabei hinüber zur Hütte, doch nichts regte sich. Bax schnappte sich das zweite Seil und zurrte die Maschine am Heck fest. Vorsichtig und wachsam bewegte er sich auf das Blockhaus zu. Hatte er sich etwa geirrt? Doch Rod hatte ebenfalls gesehen, dass jemand hastig die Tür verschloss, als sie darüber hinweggeflogen waren. Hatten sie sich getäuscht? Eine Reflexion? Oder war nur jemand vor den Flammen geflohen und nun weitergezogen? »Hallo?«, rief er verhalten und erreichte die Tür. Er stupste leicht mit der Hand dagegen, doch sie war verriegelt. Jemand war dort drinnen. Das war nun sicher. Die Tür ließ sich nur von innen durch einen schweren Holzriegel verschließen. Dasselbe galt für die Fensterläden. Es war sicherer, sie von innen verriegeln zu können, denn Bären waren mitunter sehr geschickt und verdammt clever. »Hallo, ist da jemand?« Keine Antwort, doch Baxter hörte ein leises Knacken hinter der Tür. Jemand stand genau dahinter. Er zog es vor, einen Schritt zur Seite zu gehen. Man konnte nie wissen, ob sich nicht ein Irrer auf der Rückseite der Tür befand, durch sie hindurchballerte und dann womöglich sein Flugzeug klaute. »Hören Sie, ich weiß, dass jemand in der Hütte ist. Kann ich Ihnen helfen? Sind sie verletzt?« Stille. Keine Regung. »Mein Name ist Baxter Rockwood«, sprach er weiter, »ich bin Lieutenant des Ronville Forstservice Fire Department. Benötigen Sie Hilfe?« Wieder war es eine ganze Weile still und Bax wusste sich keinen Rat. Sollte er die Tür eintreten? Falls dahinter eine hilflose Person lag, war es wohl das Beste. Wenn dahinter ein Irrer mit einem Colt wartete, eher nicht. »Bitte, gehen Sie weg.« Baxter hob überrascht den Kopf. Eine Frau. Eine sehr leise Stimme von einer Frau. »Ma’am? Brauchen Sie Hilfe?« Keine Antwort. »Hatten Sie etwas mit dem Unfall zu tun? Sind sie verletzt?« »Es ist okay. Bitte gehen Sie wieder.« »Sind Sie allein?« Keine Antwort. »Hören Sie«, er konnte ihre Angst beinah fühlen, »Sie brauchen keine Angst zu haben. Was immer Ihnen passiert ist, ich …« Er vernahm das knarrende Geräusch eines sich drehenden Riegels, dann öffnete sich die Tür einen kleinen Spalt. Weit genug, um ihn bis in den letzten Winkel seines Herzens zu treffen. Sie sah furchtbar mitgenommen aus und doch war sie das Schönste, was er in seinem ganzen Leben zu Gesicht bekommen hatte. Seine Kehle wurde plötzlich trocken und er musste sich räuspern. »Das war sehr vernünftig, Ma’am. Sie sind verletzt.« Er deutete auf ihre zerkratzten und blutverkrusteten Arme. Außerdem zierte eine dicke Beule ihre Stirn. »Sind Sie allein?« »Ja … ja, ich bin allein.« Ihre umwerfenden Augen brachten seine Eingeweide sofort zum Kochen. »Wir sollten uns um Ihre Verletzungen kümmern. Werden Sie das zulassen?« Sie zitterte, er konnte es sogar sehen, als sie mit bebender Hand eine Strähne ihrer Haare aus dem Gesicht strich. Immer wieder flog ihr Blick an ihm vorbei. Sie hatte offensichtlich eine Scheißangst. »Ich bin allein, Ma’am. Sie müssen keine Angst haben. Niemand kann hierherkommen.« »Doch, ich konnte.« Sie lächelte zaghaft und jetzt war es völlig um ihn geschehen. Dieses Lächeln brannte sich gerade in sein Hirn. »Sogar in Hausschuhen.« Er lächelte zurück und hoffte, sein Lächeln wäre mindestens genauso gewinnend wie ihres. Dass sie ihn mochte, das war ihm gerade verdammt wichtig. Sie sah hinunter auf ihre Füße, doch als sie den Kopf hob, war ihr Lächeln leider verschwunden. »Also gut«, nahm er das Wort schnell wieder auf, bevor sie es sich anders überlegte. »Im Flieger habe ich Verbandszeug und Desinfektionsmittel, erlauben Sie mir, dass ich Sie verarzte?« Sie stimmte mit leichtem Nicken zu und er war erleichtert, dass sie sich von ihm helfen ließ. Bax eilte zurück zur Maschine, holte ein Erste-Hilfe-Pack und war Sekunden später wieder bei ihr. Sie stand noch immer in der Tür, wich jedoch zur Seite und ließ ihn hinein. »Setzen Sie sich bitte, ich werde zuerst Ihre Wunden desinfizieren. Was ist mit Ihrem Bein? Sie hinken ein wenig.« »Ich bin nur umgeknickt, es ist nicht weiter schlimm. Geben Sie mir das Desinfektionsmittel und etwas Watte, das reicht, den Rest mache ich selbst.« »Darf ich mir das bitte ansehen?«, fragte er jetzt nachdrücklicher. Er sah ihr dabei fest in die Augen und sie erwiderte stumm seinen Blick. Sekundenlang, sogar einige Sekunden zu lang, tauchte er in diese moosgrünen Augen mit unglaublich langen Wimpern. Ein Prickeln lief über seinen Rücken und er war wie gebannt. Glücklicherweise half ihm seine Professionalität dabei, sich zusammenzureißen. »Ich kann das selbst, glauben Sie mir …« »Also, darf ich?« »Sie sind offensichtlich wild entschlossen.« Sie seufzte ergeben und setzte sich auf einen der harten Stühle. Schon wieder brachte sie ihn zum Lächeln. Einfach so. Er sah sich ihre Wunden an, sie waren nicht sehr schlimm, aber sicher schmerzhaft. Bax säuberte sie vorsichtig und beinah zärtlich verband er ihren Arm. Als er ihre Hand hielt, weil er einen heftigen, langen Kratzer desinfizieren wollte, sah er ihren Ehering und es versetzte ihm einen Stich. Es war wohl Pech, dass ausgerechnet die Frau, die ihn interessieren könnte, offensichtlich verheiratet war. Ob es ihr Mann gewesen war, der dort oben im Auto verbrannt war? Wurde sie aus dem Auto geschleudert? Waren daher ihre Verletzungen? Hatten sie vielleicht Streit gehabt und er hatte sie rausgeworfen, kurz bevor der Unfall passierte? Hatte sie überhaupt etwas damit zu tun? Doch wo sonst kam sie auf einmal her? Er hatte tausend Fragen. »Was machen Sie allein in dieser Hütte, Misses …?« »Ich habe sie gemietet.« Okay, sie log und wollte ihm anscheinend auch ihren Namen nicht verraten. »Tatsächlich … gemietet?«, wiederholte er lahm, während sein Blick auf einen silbernen Aktenkoffer fiel, der ebenfalls etwas ramponiert aussah. Er konnte aus den Augenwinkeln beobachten, wie sie seinem Blick folgte, um dann hastig den Koffer mit dem Fuß unter das Bett zu schieben. Hoppla, das schien interessant zu werden. »Ist das Ihr einziges Gepäckstück?« »Sie sind sehr neugierig.« »Sie haben recht, es geht mich nichts an.« Rückzug war manchmal die bessere Taktik. Er schwieg und kümmerte sich nun um ihren geschwollenen Knöchel. Dabei kniete er vor ihr, stellte ihren Fuß auf sein Bein und umfasste sanft ihren Unterschenkel. Das hatte etwas sehr Intimes und er hörte, dass auch sie leicht die Luft einsog. Während seine rechte Hand das Schmerzgel auftrug, umfasste seine linke ihre Wade. Er konnte sich nur knapp zurückhalten, sie nicht zu streicheln. Schnell verband er ihre schlanke Fessel, bevor er völlig den Verstand verlor. Junge, diese Frau war wunderschön. »Ich wollte nicht unhöflich zu Ihnen sein, es tut mir leid«, begann sie plötzlich. Seine Taktik der beleidigten Mimose ging auf. Er zuckte wie teilnahmslos mit den Schultern. »Sie machen das wirklich sehr gut«, fügte sie sanft hinzu. »Danke«, gab er knapp zurück. »Sehen wir uns Ihre Kopfverletzung an. Sie sollten besser zu einem Arzt, Misses …« »Jessalyn. Die meisten nennen mich Jess, oder Jessy … ganz, wie Sie möchten.« »Baxter Rock…« »Das sagten Sie bereits.« Sie lächelte scheu und wieder sahen sie sich viel zu lange in die Augen. Im Ernst, am liebsten hätte er dem Impuls nachgegeben und sie in seine Arme gezogen, um diesen wunderbaren Mund zu küssen. Sie schmeckte sicherlich umwerfend, ihre Zunge in seinem Mund, diese reizvolle Figur unter seinen Händen bebend, wenn sie um ihre schmalen Hüften glitten … Stopp!, schimpfte er innerlich mit sich. »Ich könnte Sie zu einem Arzt fliegen.« Bax musste sich kurz räuspern, seine erotischen Fantasien hatten seine Stimme belegt. »Es dauert nicht lang, doch ist es sicher ratsam, wenn …« »Nein, das ist nicht nötig, es geht mir schon besser. Vielen Dank.« »Sie müssen es wissen.« Er machte einen Schritt auf sie zu, doch sie erhob sich prompt und stolperte einen kleinen Schritt zurück. Es wirkte abwehrend, doch er wollte sich unbedingt die Kopfwunde ansehen. Beschwichtigend langsam hob Bax die Hände und deutete auf ihre Stirn. Sie verstand, entspannte sich sichtlich und ließ ihn gewähren. Baxter legte behutsam Strähne für Strähne ihrer seidigen Mähne beiseite. Er konnte sich nur schwer beherrschen, seine Nase nicht hineinzudrücken und ihren Duft aufzunehmen. Wow, was war nur los mit ihm? Er tupfte sorgsam um die Wunde herum den Schmutz fort und desinfizierte sie. Die Beule war nicht so schlimm, wie er gedacht hatte. »So, das war’s.« Er sah ihr in die Augen und ihre Gesichter waren sich jetzt so nah, verdammt nah, viel zu nah. Kein Feuer konnte so heiß sein wie das, das plötzlich in seinem Innersten brannte. Dennoch verwarf er die Idee, in den See zu springen und sich abzukühlen. »Sie haben also diese Hütte gemietet?« »Ja.« »Ziemlich einsam hier oben. Wie kommt eine Frau wie Sie dazu, die Einsamkeit zu buchen?« »Ich bin Schriftstellerin. In der Einsamkeit bin ich am kreativsten«, stieß sie hervor und schob dabei das Kinn nach vorn. Sie log, schon wieder und offenbar tat sie das nicht oft, denn sie war nicht sonderlich geübt darin. »Braucht man dazu nicht so etwas wie eine Schreibmaschine?« »Sie werden hier draußen noch nicht davon gehört haben, Mister Rockwood, aber es gibt heutzutage so etwas wie Notebooks.« »Ah, nun ja. Wir hier draußen können zwar Flugzeuge fliegen, aber das ist mehr so wie Indiana Jones. Notebooks dagegen sind Enterprise.« Sie lachte laut, warf den Kopf in den Nacken und es war so mitreißend, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als mit einzustimmen. Sie war umwerfend. Er hätte noch ewig bleiben und sie zum Lachen bringen können, doch ihm fiel plötzlich ein, dass Mary in ihrem kleinen Laden dringend auf die bestellten Lieferungen wartete. Er hielt sich schon viel zu lange auf. »Nun, Jess, ich muss mich leider verabschieden, aber vorher gebe ich Ihnen etwas.« Er rückte das Bettgestell beiseite, schob den Koffer achtlos weg und löste unter ihrem erstaunten Blick eine der Holzplanken unter dem Bett. Dort befanden sich ein geladenes Gewehr und Patronen. Er nahm die Sachen heraus, brachte alles zurück an seine Position, schob sogar, wie sie zuvor, den Koffer mit dem Fuß zurück unter das Bett und richtete sich unter ihrem ratlosen Blick wieder auf. »Hier, nehmen Sie.« Er übergab ihr das Gewehr und sie nahm es zögernd entgegen. »Zu Ihrer Beruhigung und zu Ihrer Sicherheit. Aber bitte nicht auf Feuerwehrmänner schießen und am besten auch nicht auf Bären. Als ungeübter Schütze verletzt man sie höchstens und wir wollen weder einen angeschossenen, wütenden Bären noch einen Feuerwehrhintern voll Schrot.« Sie lachte leicht, klang aber überrascht. »Sollten Sie Besuch von Wildtieren bekommen, reicht es aus, in die Luft zu schießen. Die wissen verdammt genau, was ihnen blüht, wenn sie ihre pelzigen Ärsche nicht von der Veranda schwingen.« Sie kicherte, oh, das war süß, verdammt! »Woher wussten Sie von dem Gewehr?« »Es ist meine Hütte.«
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